- Neuheidentum
- Neu|hei|den|tum 〈n.; -s; unz.〉1. Gesamtheit der religiösen nachchristlichen bzw. nicht (mehr) christlichen Gruppierungen2. 〈1933-1945〉 auf der völkischen Rassenlehre des Nationalsozialismus begründete Bewegung religiöser Vereinigungen, die das Christentum als artfremd verwarfen u. den Glauben an Sünde, Buße, Erlösung u. Gnade ablehnten
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Neuheidentum,Sammelbegriff für neuere nicht- beziehungsweise postchristliche Tendenzen und Strömungen innerhalb des Spektrums der so genannten »neuen Religiosität«, deren religiöse Überzeugungen in einer bewussten Rückwendung zu vor- oder außerchristlichen Werthaltungen und Glaubensvorstellungen gründen und zum Teil mit Bestrebungen verbunden sind, den antiken und den altgermanischen Götterglauben wieder zu beleben. Der Begriff Neuheidentum leitet sich von den Selbstbezeichnungen ihrer Anhänger als »Heiden« beziehungsweise »Neuheiden« ab, die zugleich Abgrenzungen gegenüber den bewussten Atheisten und der großen Menge religiös indifferenter Menschen in der modernen Gesellschaft darstellen. Das Neuheidentum ist breit gefächert, »überlappt« sich zum Teil mit der Esoterik- und der New-Age-Szene, lässt sich jedoch grundsätzlich im Rahmen zweier Hauptrichtungen darstellen, die sich als völkisch-rassistisches Neuheidentum (»rechtes Neuheidentum«) und als alternativ-emanzipatorisches Neuheidentum (»linkes Neuheidentum«) deutlich voneinander abheben, aber auch verschiedene Mischformen eingehen.Das »rechte« Neuheidentum gliedert sich in Deutschland traditionell in die aus den deutschgläubigen Bewegungen und in die aus dem stärker esoterisch geprägten »Neugermanischen Heidentum« hervorgegangenen Gruppierungen. Die auf »völkische« Religiosität und Rasselehren des 19. Jahrhunderts (A. Gobineau) zurückgehende, einen »arteigenen deutschen Glauben« vertretende deutschgläubige Szene ist heute zersplittert und zum Teil im Verschwinden begriffen: »Deutschgläubige Gemeinschaft« (1911 gegründet, 1957 wieder gegründet); »Nordische Glaubensgemeinschaft«; »Artgemeinschaft« (gegründet 1951). Dem Neugermanentum entstammen v. a. die heute noch aktiven ariosophischen Splittergruppen, deren Lehre (Ariosophie) wesentlich auf Theorien der österreichischen Schriftsteller Guido von List, (* 1848, ✝ 1919) und Adolf Josef Lanz von Liebenfels (* 1874, ✝ 1954) zurückgeht: »Armanen-Orden« (1907 als »Guido-von-List-Gesellschaft« gegründet); »Goden-Orden« (gegründet 1957); »Gylfiliten-Gilde« (gegründet 1976). Neuerdings definiert sich das neugermanische Neuheidentum auch als »Ásatrú« (»den Asengöttern treu«). Auch der »intellektuelle Neopaganismus« (zu kirchenlateinisch pagan »heidnisch«) von Theoretikern der »neuen Rechten« sieht in einer neuen heidnischen »Religion« die Alternative zum christlichen Universalismus und Egalitarismus.Die politische Vorbelastung der neuheidn. Szene in Deutschland lässt leicht übersehen, dass es seit Humanismus, Aufklärung und Romantik auch ein emanzipatorisches Interesse an »heidnischer« Religiosität mit entsprechender Urkultur-Rezeption (Kelten, Germanen, Indianer) gegeben hat (z. B. sozialistische Sonnwendfeiern; Maifeiertag). Diese Tradition erscheint heute v. a. in der ökosozialistischen Variante des Neuheidentums wieder. Besonders von Amerika, Großbritannien und Skandinavien ausgehende Einflüsse haben seit dem Entstehen gegenkultureller Strömungen innerhalb der westlichen säkularen Gesellschaften (New Age) auch zum Erstarken eines sich zum Teil betont »antifaschistisch« gebenden oder sich dem grünalternativen Spektrum zurechnenden »linken« Neuheidentum geführt, das sich mit der Umweltschutz-, der Frauen- und der Friedensbewegung zu verbünden versucht. Dabei betonen besonders diejenigen Kreise, die an Traditionen des Schamanismus und der indianischen Kultur anknüpfen, anarchistische und ökologische Werte und vertreten politisch eher »links« angesiedelte Einstellungen (Stefanie von Schnurbein). Über Vertreter des Neoschamanismus hinaus verstehen sich viele Anhänger und Anhängerinnen des Wicca-Kults (Selbstbezeichnung: neue Hexen), des Neokeltentums beziehungsweise Neodruidentums und neuerdings der so genannten »Tiefenökologie« als Neuheiden.Während es in Deutschland, abgesehen vom »Bund für Gotterkenntnis (Ludendorff) e. V.« mit rd. 10 000 Anhängern und der »Deutschen Unitarier Religionsgemeinschaft e. V.« (rd. 2 000) nur sehr wenige, in Kleinstgruppen organisierte Neoheiden gibt, schätzen Religionswissenschaftler die Zahl der in neureligiösen Gemeinschaften in den USA organisierten Neoheiden auf 40 000 bis 50 000 (Eigenangaben bis zu 100 000).F.-W. Haack: Wotans Wiederkehr. Blut-, Boden- u. Rasse-Religion (1981);K. Weißmann: Druiden, Goden, weise Frauen (1991);S. von Schnurbein: Religion als Kulturkritik. Neugerman. Heidentum im 20. Jh. (1992);S. von Schnurbein: Göttertrost in Wendezeiten. Neugerman. Heidentum zw. New Age u. Rechtsradikalismus (1993);J. G. Melton u. I. Poggi: Magic, witchcraft and paganism in America. A bibliography (New York 21992);V. Crowley: Phoenix aus der Flamme. Heidn. Spiritualität in der westl. Welt (a. d. Engl., 1995);H. Baer: Arischer Rassenglaube - gestern u. heute. Das Weltbild der esoter. Ariosophen u. »philosoph.« Deutschgläubigen (1995);Das neue Heidentum, Beitrr. v. O. Bischofberger u. a. (1996);M. Adler: Drawing down the moon. Witches, druids, goddess-worshippers, and other pagans in America today (Neuausg. New York 1997).* * *
Neu|hei|den|tum, das: Gesamtheit verschiedener Strömungen moderner nichtchristlicher Religiosität.
Universal-Lexikon. 2012.